Lübeck – Am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein (UKSH), Campus Lübeck, wird das erste Medizinische Zentrum für Erwachsene mit Behinderungen (MZEB) in Schleswig-Holstein eingerichtet. Damit sollen Patientinnen und Patienten mit geistiger oder schwerer Mehrfachbehinderung besser versorgt werden, deren Erkrankungen und Störungsbilder wegen ihrer Art, Schwere oder Komplexität eine bedarfsgerechte Ergänzung zur ambulanten Regelversorgung erfordern.
Das Land Schleswig-Holstein fördert die Errichtung und den Aufbau des Zentrums mit 500.000 Euro.
Gesundheitsministerin Kerstin von der Decken hat dazu einen Förderbescheid an die Leiter des Zentrums und Fachärzte für Neurologie, Professor Dr. Tobias Bäumer und Dr. Sebastian Löns, übergeben – im Beisein von Michaela Pries, Landesbeauftragte für Menschen mit Behinderungen, und Professor Dr. Dr. h.c. mult. Jens Scholz, CEO des UKSH.
Gesundheitsministerin Kerstin von der Decken betonte: „Menschen mit Behinderungen haben besondere Bedürfnisse in der medizinischen Versorgung. Eine barrierefreie Umwelt und spezielle Angebote für Menschen mit Behinderungen in der medizinischen Versorgung zu schaffen, ist unser selbstverständlicher Anspruch als Landesregierung. Deshalb hat mein Haus mit den Beteiligten intensiv am Aufbau eines ersten MZEB in Schleswig-Holstein gearbeitet, das bald seinen Betrieb aufnehmen wird. Wir fördern den Aufbau des MZEB aus dem Versorgungssicherungsfonds, auch weil der Bund keine Anschubfinanzierung leistet, obwohl die Bundesregierung den Ausbau von MZEB vereinbart hat. Das Land steht somit auch in finanzieller Hinsicht zu seinem Wort, die bedarfsgerechte Versorgung von Menschen mit Behinderungen in Schleswig-Holstein weiter zu verbessern.“
Michaela Pries fügte hinzu: „Schleswig-Holstein hat nun auch seine Gesundheitsversorgung mit einem MZEB komplettiert. Dazu haben viele gemeinsam beigetragen, ihnen allen gilt mein Dank! Dieses spezialisierte Angebot geht auf erkannte Herausforderungen ein, die im Zusammenhang mit behinderungsbedingten Faktoren bei der Diagnose, Behandlung und Anschlussversorgung entstehen können. Wichtig bleibt aber auch weiter, dass das Regelangebot in der Gesundheitsversorgung inklusiv ausgerichtet ist, insbesondere die umfassende Barrierefreiheit ist bei vielen Angeboten noch ausbaufähig.“
Professor Scholz sagte: „Mit dem MZEB schaffen wir eine spezialisierte Anlaufstelle, die den besonderen Bedürfnissen von Menschen mit Behinderungen gerecht wird und umfassende, individuell abgestimmte Behandlungsangebote bereitstellt. Ich bin dem Land Schleswig-Holstein dankbar für die Förderung dieses Meilensteins und ebenso Frau Pries für ihre Unterstützung. Ein starkes Zeichen unseres gemeinsamen Engagements für Inklusion und gleichberechtigten Zugang zu hochqualitativer medizinischer Versorgung.“
Für eine umfassende Betreuung von Kindern und Jugendlichen mit Behinderungen sorgen sozialpädiatrische Zentren; ab der Volljährigkeit bietet das MZEB nun als erste Einrichtung ein Folgeangebot in Schleswig-Holstein. Bei vielen Betroffenen liegen seltene oder genetische Krankheiten, die erst durch moderne Diagnostik erkannt werden können, den komplexen Leiden zugrunde.
Menschen mit geistiger Behinderung haben zudem ein erhöhtes Risiko für zusätzliche neurologische oder internistische Erkrankungen wie Herzkreislaufprobleme, Epilepsie oder das metabolische Syndrom. Die Erhebung der Krankheitsgeschichte und aktueller Beschwerden wird oft durch eine fehlende oder verminderte Kommunikationsfähigkeit erschwert. Sie stellt eines der zentralen Probleme dar, die Menschen mit diesen Einschränkungen von anderen Patientinnen und Patienten unterscheidet.
Das Team des MZEB möchte den besonderen Bedürfnissen mit einem multidisziplinären Ansatz, Erfahrung und ausreichend Zeit entgegenkommen. „Am Campus Lübeck betreuen wir nicht nur im Zentrum für Seltene Erkrankungen und in den Spezialsprechstunden der neurologischen Klinik viele Patientinnen und Patienten mit Behinderungen mit einem hohen Bedarf an multi- und interprofessioneller Versorgung. Diesen nur in Teilen gedeckten Bedarf vor Augen, war es unser Ziel, diesen Menschen mit dem MZEB ein auf sie optimiertes ambulantes medizinisches Versorgungsangebot zu machen“, sagte Professor Bäumer.
Menschen mit geistiger Behinderung oder körperlicher Mehrfachbehinderung und einem Grad der Schwerbehinderung von mindestens 70 Prozent können von ihrer Ärztin oder ihrem Arzt ans MZEB überwiesen werden. Nach Sichtung der Vorgeschichte folgt hier eine umfassende Aufnahme der gesundheitlichen Situation und eine ärztliche Untersuchung. Im Rahmen einer Fallkonferenz beraten sich Fachleute verschiedener ärztlicher und therapeutischer Professionen über die notwendigen weiteren Schritte und erstellen einen individuellen Therapieplan.
Kernelement des MZEB ist die multidisziplinäre Behandlung durch ein Team aus medizinischen und nichtmedizinischen Fachkräften. Zum Angebot gehören Diagnostik- und Therapiemaßnahmen, die anderweitig für die Betroffenen nicht verfügbar sind, sowie eine Mitbehandlung durch andere Fachbereiche des UKSH. Im Vordergrund stehen jedoch die Koordination und Unterstützung der ambulanten Behandler. Dafür wird ein entsprechendes Versorgungsnetz aufgebaut, das zum Beispiel auch die Bereiche Rehatechnik, Hilfsmittelversorgung, unterstützte Kommunikation und Einrichtungen der Behindertenhilfe abdeckt.
Das MZEB setzt die Maßgaben des Artikels 25 der UN-Behindertenrechtskonvention nach behindertengerechten Versorgungsangeboten um. Die Leiter des Zentrums erwarten nach Etablierung des Angebots in den kommenden Jahren bis zu 800 Patientinnen und Patienten pro Quartal.