Kiel – Mehr Tempo bei Planungen und beim Ausbau Erneuerbarer Energien, Initiativen zum Klimaschutz, im Wohnungsbau, Sozialbereich und bei der Digitalisierung sowie ein neuer Aufschlag zur Gewinnung von Fachkräften – mit einem ambitionierten 100-Tage-Programm geht die Landesregierung in die neue Wahlperiode. Das Kabinett hat dazu ein entsprechendes Arbeitspaket beschlossen. Ministerpräsident Daniel Günther und seine Stellvertreterin, Finanzministerin Monika Heinold, sprachen von ehrgeizigen Vorhaben, an deren zügiger Umsetzung sich die Koalition messen lassen werde.
„Uns eint der Anspruch, die Herausforderungen der Gegenwart und der Zukunft gemeinsam anzupacken und dabei auch neue Wege zu gehen. Wir wollen unseren Wohlstand sichern und unseren Beitrag zum Klimaschutz leisten, indem wir erstes klimaneutrales Industrieland werden. Die Weichen stellen wir dazu schon in den ersten 100 Tagen“, sagte Günther. Finanzministerin Heinold ergänzte: „Das 100-Tage-Programm drückt unseren Gestaltungsanspruch im Klima- und Umweltschutz aus, aber auch bei den drängenden sozialen Fragen. Dies machen wir gleich zu Beginn der Legislaturperiode deutlich.“
Bereits in den ersten 100 Tagen solle ein Fahrplan für ein sogenanntes „Normenscreening“ erstellt werden. Mit diesem Screening werden wir bestehende Normen mit dem Ziel prüfen, Planungen und Verfahren zu beschleunigen. „Wir können und müssen hier schneller werden“, sagte Günther. „Wo das Land handeln kann, werden wir das tun.“ Daneben werde die Landesregierung auf Bundesebene auf eine Umsetzung hinwirken.
Zu den bedeutsamen Vorhaben zählten Günther und Heinold den beschleunigten Ausbau Erneuerbarer Energien. Wie im Koalitionsvertrag vereinbart, solle Schleswig-Holstein bis 2040 das erste klimaneutrale Industrieland sein. Um dies zu erreichen, werde man in den ersten 100 Tagen einen Evaluationsbericht zu weiteren potentiellen Windflächen über die bestehenden Planungen hinaus vorlegen. Dabei werden die geänderten bundesgesetzlichen Rahmenbedingungen berücksichtigt. Zudem werde ein Bericht zur besseren Nutzung von Windflächen sowie Ausweitungsmöglichkeiten, etwa beim Repowering oder durch Änderungen beim Arten- und Naturschutz, erarbeitet und vorgestellt.
Beschleunigen will die Landesregierung daneben den Ausbau von Freiflächen für die Photovoltaik. Dazu solle das im Landesentwicklungsplan bestehende grundsätzliche Erfordernis eines Raumordnungsverfahrens (ROV) ab einer Größe von 20 Hektar entfallen. „Angesichts der überragenden Bedeutung erneuerbarer Energien und der hohen Dringlichkeit ihres zeitnahen Ausbaus ist ein Vorlauf durch ein in der Regel ein Jahr dauerndes ROV nicht vertretbar“, sagte Günther. Daneben werde die Landesregierung das Klimaschutzprogramm für Bürgerinnen und Bürger mit dem Ziel neu auflegen und weiterentwickeln, im privaten Bereich die Abhängigkeit von fossilen Energien schneller zu reduzieren. „Nur Erneuerbare machen uns unabhängig von stark steigenden Energiepreisen. Deshalb werden wir den Umstieg mit einem Förderprogramm begleiten“, sagte Heinold. Ziel sei es, bereits im kommenden Winter die Beantragung einer Förderung von Wärmepumpen, Batteriespeichern und weiteren Technologien zu ermöglichen.
Breiten Raum im 100-Tage-Programm nimmt das Thema „Wohnen“ ein. Bereits angekündigt hatte die Landesregierung einen Entwurf für ein Wohnraumschutzgesetz, mit dem den Kommunen ermöglicht wird, aktiv gegen Missstände oder drohende Verwahrlosungen von Wohngebäuden vorzugehen. Im Rahmen der „Initiative Wohnen“ werde ein Pakt mit allen relevanten Akteurinnen und Akteuren der Wohnungswirtschaft vorbereitet. In den Blick nehmen soll der Pakt unter anderem die mögliche Unterstützung kommunaler Wohnungsbaugesellschaften. Ein Kompetenzzentrum „Digitales Bauen und Planen“ solle daneben bislang noch nicht ausreichend genutzte Potenziale der Digitalisierung im Bau- und Bauplanungswesen heben, um Prozesse so zu beschleunigen. Hierzu werde der Prozess der Einrichtung angeschoben. Darüber hinaus solle der Testbetrieb eines virtuellen Bauamts bei Pilotbauaufsichtsbehörden starten. Ziel des Vorhabens sei es, Baugenehmigungsverfahren über digitale Bauanträge und -genehmigungen sowie einen elektronischen Zugriff auf den Bearbeitungsstand transparenter zu gestalten und zu beschleunigen.
Im Sozialbereich legt die Landesregierung ein ganzes Bündel erster Maßnahmen vor. Um die angespannte Fachkräftesituation in den Kindertagesstätten zu verbessern, sollen die Einrichtungen mit zusätzlichem Personal entlastet werden. Für die Einrichtung dieses sogenannten Personalergänzungsfonds werden die Eckpunkte definiert. Auch die Evaluation zum bestehenden Kita-Gesetz wird beschleunigt, so dass zeitnah erste Zwischenergebnisse vorgelegt werden können.
Die interkulturelle Öffnung des öffentlichen Dienstes soll vorangetrieben werden, so dass der Anteil von Menschen mit Zuwanderungserfahrung insbesondere im höheren Dienst und im Bereich der Führungskräfte erhöht wird. Bei Menschen, die schon lange in Schleswig-Holstein leben, sollen die Ausländerbehörden prüfen, wie eine Bleibeperspektive eröffnet werden kann. Mit den kommunalen Zuwanderungsbehörden werden bereits in den ersten 100 Tagen hierzu Verfahren, Standards und Leitfäden entwickelt.
Um den Betrieb der Tafeln im Land vor dem Hintergrund zahlreicher Schutzsuchender aus der Ukraine und der zunehmend angespannten sozialen Lage im Land zu gewährleisten, wird eine Richtlinie zur Unterstützung der Tafeln in Schleswig-Holstein erlassen. Zudem wird der Prozess für ein landesweit zuständiges Kompetenzzentrum gegen geschlechtsspezifische Gewalt und für deren Bekämpfung im Sinne der Istanbul-Konvention gestartet.
Im Bildungsbereich solle eine „Allianz Lehrkräfte“ für die kommenden Jahre einen Maßnahmenkatalog zur quantitativen und qualitativen Stärkung der Lehrkräftebildung entwickeln. Dabei gehe es unter anderem um Maßnahmen zur Gewinnung von Lehrkräften in bisher nicht voll ausgelasteten Lehramtsstudiengängen.
Mit dem Blick auf den Impffortschritt im Kampf gegen das Corona-Virus sagte Günther, Schleswig-Holstein sei bundesweit Spitzenreiter bei der Grundimmunisierung Minderjähriger. Bei den Auffrischungsimpfungen solle nun die Lücke in der Altersgruppe der 12- bis 17-Jährigen weiter geschlossen werden. Dazu werde eine Impfkampagne gestartet.
Neu aufsetzen und weiterentwickeln will die Landesregierung die Fachkräfteinitiative Schleswig-Holstein, weil sich die Herausforderungen nach der letzten Überarbeitung im Jahre 2019 in Teilen verändert haben. Eckpunkte dazu würden in den ersten 100 Tagen vorgelegt. Vorausgehen solle ein enger Abstimmungsprozess mit den beteiligten Partnern wie Unternehmensverbänden, Kammern, Gewerkschaftsbund und Arbeitsagentur. Dabei solle der Fokus stärker als bisher auf die Themen Fachkräfteeinwanderung und Fachkräftesicherung in klimarelevanten Bereichen gelegt werden. Zudem solle in den ersten 100 Tagen ein Konzept für die Errichtung eines Welcome-Centers vorgelegt werden.
Die Landesregierung fördert die Gleichstellung in öffentlichen Unternehmen. Dafür bringt sie ein Gesetz auf den Weg, das Frauen und Männer bei der Besetzung der Aufsichts- und Geschäftsführungsorgane der Landesunternehmen und -beteiligungen zukünftig hälftig berücksichtigt. „Damit wird der Frauenanteil in öffentlichen Unternehmen auch in Geschäftsführungen steigen“, so Heinold.
Zu den weiteren Vorhaben zähle die Entwicklung von Eckpunkten zur Änderung der Gemeindeordnung. Ziel dabei sei es, das kommunale Ehrenamt und die Funktionsfähigkeit der Kommunalvertretungen zu stärken. Dabei werde insbesondere die Größe der Kommunalvertretungen in den Blick genommen. Zudem werde man die Möglichkeit schaffen, dass Kandidierende zu Wahlen lediglich Wohnort und Postleitzahl auf dem Wahlzettel angeben müssen. Die Änderungen sollen bereits zur Kommunalwahl 2023 gelten. Zugleich solle die steuerliche Freistellung der Entschädigungen für ehrenamtliche Kommunalpolitiker und Kommunalpolitikerinnen deutlich erhöht werden. Für eine entsprechende Änderung wird sich die Landesregierung im Rahmen der Bundesratsbefassung zur Aktualisierung der Lohnsteuerrichtlinien stark machen.
Initiativ werden will die Landesregierung auch bei der EU-Kommission. Hier solle ein Antrag gestellt werden, um den günstigen Erhaltungszustand der Nonnengans feststellen zu lassen und damit die Überführung der Nonnengans in den Anhang II der Vogelschutzrichtlinie zu beantragen. Hierdurch könnten jagdliche Maßnahmen als Teil des Gänsemanagements flexibler angewendet werden. Zudem werde die Landesregierung ein Verfahren einleiten, nach dem der Wolf mit ganzjähriger Schonzeit ins Jagdrecht aufgenommen wird. Daneben werde die Landesregierung den Aufbau eines Kompetenzzentrums für klimaeffiziente Landwirtschaft mit dem Ziel starten, durch Wissenstransfer und Projekte die Landwirtschaft dabei zu unterstützen, Treibhausgas-Emissionen zu reduzieren und sie fit für die Anpassungen an und die Folgen des Klimawandels zu machen.
Weiter vorantreiben werde die Landesregierung die Umsetzung des Online-Zugangsgesetzes. „Schleswig-Holstein will Vorzeigeland bei der Digitalisierung werden“, sagte Günther. Zu den auf dem Serviceportal Schleswig-Holstein angebotenen bereits nutzbaren digitalen Verwaltungsleistungen werden deshalb in den kommenden 100 Tagen weitere 15 Dienste entwickelt und je nach Zuständigkeit über die Landesbehörden oder über die kommunalen Behörden, Bürgerinnen und Bürgern bzw. Unternehmen zur Nutzung Verfügung gestellt. Dabei gehe es etwa um die Anzeige einer Geburt oder einer Versammlung, um Sozialleistungen wie Eingliederungshilfe für Minderjährige.
Daneben wird die Landesregierung in den ersten 100 Tagen die Planungen für den Einsatz von 5-G-Campus-Netzen an fünf Standorten in Schleswig-Holstein abschließen. Erste Tests sollen dann bereits an einem dieser Standorte anlaufen. Mit diesem Projekt sollen unter anderem die Infrastruktur zur Krisenvorsorge und für datenbasiertes Verwaltungshandeln erweitert werden.