Eutin – Die Gewaltspirale gegen Polizisten im Einsatz hat nach Erkenntnissen der Gewerkschaft der Polizei (GdP) auch im vergangenen Jahr ihre Fortsetzung gefunden. Insbesondere auch die Polizistinnen und Polizisten in der Polizeidirektion Lübeck sind von Angriffen betroffen gewesen, wie Jörn Löwenstrom, der GdP-Vorsitzende der Regionalgruppe Lübeck-Ostholstein beklagt. Der Polizeigewerkschafter verweist auf die Zahlen zur Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) der Polizeidirektion Lübeck. Demnach sei das Ausmaß im Bereich der Gewalt gegen Polizeibeamte um 96 Fälle und damit fast 70 Prozent gestiegen. So seien im vergangenen Jahr insgesamt 234 Fälle registriert worden.
„Das ist erschreckend und macht fassungslos“, unterstreicht Löwenstrom in einer Pressemitteilung. Ob die Entwicklung mit der veränderten Gesetzeslage mit der Einführung des Paragrafen 114 des Strafgesetzbuches zusammenhänge, müsse sich in den folgenden Jahren zeigen. „Fest steht aber, dass die Polizeidirektion Lübeck landesweit die Höchstzahl an Opfern in Einsätzen aufweist. 297 Polizisten sind im vergangenen Jahr in Lübeck und Ostholstein verletzt worden. Das ist eine dramatische Entwicklung“, so Löwenstrom.
Gestützt sieht sich die GdP durch Aussagen des schleswig-holsteinischen Generalstaatsanwalts Wolfgang Zepter. Zepter hatte sich bei einer Pressekonferenz zur Kriminalitätsentwicklung betroffen über die Zunahme der Gewalt gegen Polizisten gezeigt und auf eine erhöhte Anklagequote durch die Staatsanwaltschaft hingewiesen. Demnach sei die Anklagequote bei Verdachtsfällen von Attacken auf Polizisten mit etwa 65 bis 70 Prozent so hoch wie in keinem anderen Deliktsbereich. „Wir klagen im Zweifel an“, hatte der Generalstaatsanwalt erklärt. Eine Entscheidung, die die GdP ausdrücklich unterstützt. „Es ist ein wichtiges Zeichen für die Kolleginnen und Kollegen, die schließlich im Dienst ihre Haut für den Staat und die Bürger zu Markte tragen, dass bei gewaltsamen Übergriffen gegen sie auch seitens der Anklagebehörde konsequent nachgegangen wird“, so GdP-Landesvorstandsmitglied Thomas Gründemann. Auch durch sein Engagement um den „Hilfs- und Unterstützungsfonds für im Dienst verletzte Polizisten“, kurz „HUPF“, wisse er, wie schlecht es polizeilichen Einsatzkräften oft ginge, die Adressaten von verbalen Aggressionen oder gar körperlichen Übergriffen geworden seien. „Vor allem seelisch sind die Folgen oft nicht ohne. In Einzelfällen habe am Ende sogar die vorzeitige Pensionierung gestanden“, so Gründemann.
Aber auch verbale Entgleisungen und Attacken, die ins Persönlichste von Polizisten, beispielsweise die Familie, abzielten, seien im Einsatzgeschäft fast an der Tagesordnung. „Das lässt in der Folge Beamtinnen und Beamte nicht mehr zur Ruhe kommen“, weiß Gründemann. Das „Bespucktwerden“ im Einsatz sei neben körperlicher Gewalt eigentlich mit das Schlimmste, was einem Ordnungshüter widerfahre. „Aber selbst diese entwürdigende Behandlung stehe den ins persönliche Umfeld von Polizisten gehenden Bedrohungen und Beleidigungen nach“, hält der Gewerkschafter vor Augen. Übergriffe gegen die Beamten erfolgten überwiegend im alltäglichen Streifen- und Einsatzdienst wie Präsenzstreifen, Personalienüberprüfungen, Familienstreitigkeiten, aber auch bei Festnahmen und Durchsuchungen. Polizisten wüssten zwar, dass sie aufgrund der polizeilichen Konfliktregelungsfunktion in den unterschiedlichsten Bezügen in konkrete oder latente Gewaltsituationen geraten würden und so Angriffe fast schon zur „ganz normalen Tagesarbeit“ der Polizei gehörten. Die Intensität des im Einsatz Erlebten sei dennoch immer wieder erschreckend und dann auch bei erfahrenen Beamten nicht wirkungslos.
„Mit ihrer Entscheidung, zur Verfolgung von Straftaten gegen Polizisten ein Sonderdezernat einzurichten, hat die Staatsanwaltschaft Lübeck deutlich gemacht, dass auch sie die enorme Anzahl und vor allem die Ausmaß der Attacken auf Polizisten sehr ernst nimmt", stellt Löwenstrom fest. Als Nächstes müssten nun Gewaltdelikte gegen Polizisten absehbar auch zu einer früheren gerichtlichen Befassung führen, ergänzen Löwenstrom und Gründemann. „Hier hoffen wir auf eine konsequentere gerichtliche Sanktionierung. Dies gilt aber insbesondere auch bei zweitinstanzlicher Verhandlung vor dem Landgericht Lübeck“, so Gründemann. Die aktuell im Probeversuch in Lübeck eingesetzten Bodycams dürften bei der Beweisführung und der rechtlichen Bewertung sicherlich sehr hilfreich sein. Gründemann unterstreicht: „Auch wenn es sich um ein gesamtgesellschaftliches Problem handelt, darf nichts unversucht bleiben, um das Phänomen der Gewalt gegen unsere Kolleginnen und Kollegen im Streifen- und Einsatzdienst einzudämmen“.